Das besondere Boot: „Kairos 4Two“ – mit Rigg und Riemen | YACHT

2022-12-02 20:06:03 By : Ms. Ivy Zhuang

Sich mit einem offenen Boot auf den Weg entlang der Küste Kanadas bis nach Alaska zu machen ist Abenteuer pur. Joachim Rösler hat für dieses Vorhaben einen sehr speziellen Ruder-Segel-Trimaran gebaut

Wer das berüchtigte Race to Alaska schafft, der kann erzählen. Besonders jene, die die 750 Seemeilen von Port Townsend im US-Bundesstaat Washington durch die berüchtigte Inside Passage bis nach Ketchikan an der Küste Alaskas auf kleinen, selbst gebauten Trailerbooten bestreiten. Einer von ihnen ist Joachim Rösler. Der gebürtige Stuttgarter ist Diplomkaufmann und segelt von Jugend an. Nach einer Karriere in der Verlagsbranche beidseits des Atlantiks genießt er seinen Ruhestand in den USA, geht gern zum Paragliding – und er nimmt leidenschaftlich gern an Raids teil: Mehrtagesregatten für kleine Jollen und Multihulls wie die Everglades Challenge in Florida oder eben das längere und ungleich extremere Race to Alaska.

Dieses Jahr war er zum dritten Mal dabei. Allerdings nicht mehr einhand, sondern erstmals gemeinsam seiner Freundin Zoë Sheehan Saldaña, einer Künstlerin, die in New York lebt und arbeitet. Das Boot, das Rösler für das Abenteuer vorschwebte, gab es nicht zu kaufen. Also machte er sich kurzerhand selbst ans Werk, um seine „Kairos 4Two“ zu konstruieren, zu bauen und dann quer durchs weite Amerika an die Westküste zu transportieren. Entstanden ist ein eher ungewöhnliches Segelgefährt mit drei Rümpfen und drei Masten. Doch beim Race to Alaska, bei dem zwar keine Motor-, dafür neben Wind- auch Muskelkraft gestattet ist, fällt der Trimaran nicht aus dem Rahmen. Das Unnormale ist hier völlig normal.

„Kairos 4Two“ ist eine Weiterentwicklung des Angus Row Cruisers, eines Einhandboots, das Rösler bei den zwei vorhergehenden Teilnahmen an den Start brachte. Ursprünglich entworfen hat es der kanadische Extremabenteurer Colin Angus, der eigentlich ein effizientes Touren-Ruderboot mit Knickspantrumpf, Schlupfkoje und viel Stauraum im Sinn hatte. Weil sich aber viele seiner Kunden zusätzlich eine Besegelung wünschten, stattete er es schließlich mit Auslegern und kleinen Riggs im Stil des Open Skiff aus. So entstand am Ende ein Hybrid aus Ruder- und Segelboot.

„Erstaunlich, wie gut das Row-Cruiser-Konzept skalierbar ist“, sagt Angus angesichts Röslers „Kairos 4Two“. Mehr noch, das Boot des Deutschen inspiriere ihn, nun selbst ein größeres Model zu konstruieren.

Als Material dienten Platten aus Bootsbausperrholz – sechs Millimeter für den Rumpf, vier Millimeter fürs Deck –, die sich Rösler selbst zuschnitt und im Stitch-and-Glue-Verfahren zusammenbaute, ehe er sie mit Glasfasergewebe und West Epoxy außen und innen verstärkte. Kleinere Teile fertigte er im Kiwi-Preg-Verfahren an, indem er getränktes Gewebe auf eine Plastikfolie legte, um dann mit einem Fensterabzieher das überschüssige Harz abzunehmen. Das spart Gewicht.

Das Boot ist knapp siebeneinhalb Meter lang, etwa drei Meter breit, wiegt leer rund 180 Kilogramm und trägt eine Nutzlast von rund 200 Kilogramm. An drei unverstagten Kohlefaser-Steckmasten können durchgelattete Segel von eineinhalb bis fünf Quadratmeter gesetzt werden, wozu ein Crewmitglied auf das Vor- oder Achterdeck muss, um den Mast zu legen und das jeweilige Segel abzustreifen. Eine heikle Aufgabe, insbesondere bei starkem Wellengang. Insgesamt sind fünf Segel an Bord; jedes passt auf jeden Mast.

Das Boot verfügt zudem über eine Ruderstation mit Rollsitz. Ferner gibt es vorn und achtern je eine Minikajüte im 1,16 Meter schmalen Mittelrumpf. Dazwischen sorgt ein Cockpitzelt für etwas mehr geschützten Lebensraum. Eine Pantry oder auch ein WC sucht man vergebens; als Toilette dient eine Pütz. Zur persönlichen Ausrüstung zählt bei Touren in höheren Breiten der Trockenanzug.

An Deck finden sich rostfreie Beschläge, kugelgelagerte Blöcke und leichtes Synthetiktauwerk. Viel Wert legte Rösler zudem auf die saubere Installation der Bordbatterie und einen stabilen, leichtgängigen Gleitmechanismus fürs Vorluk, das beim Öffnen das auf dem Vorschiff montierte 130-Watt-Solarmodul nicht beschädigen darf. Denn darüber läuft die Stromversorgung für Navigation und Autopilot. Unter Muskelkraft erreicht „Kairos 4Two“ in Flachwasser eine Reisegeschwindigkeit von vier bis fünf Knoten. Die können laut Rösler im Hybridmodus, also beim Rudern mit gesetzten Segeln, wenn nötig über einen ganzen Tag gehalten werden. Bei flauen Winden ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu größeren Tourenbooten, etwa Jollenkreuzern.

„Man kann ein derartiges Rennen nicht auf Adrenalin bewältigen“, sagt der Skipper, der auf seine Erfahrung aus den zwei vorangegangenen Teilnahmen verweist. Einmal hatte er es bis ins Ziel geschafft, einmal musste er wegen eines defekten Mastfußes aufgeben. Man müsse seinen Rhythmus finden, sich regelmäßig Rast gönnen und sich entlang der Strecke mit dem Wichtigsten versorgen, wann immer sich die Möglichkeit biete. Da er und seine Mitstreiterin nur am Tage fahren wollen, sind die beiden Kajüten mit ausreichend Platz zum Ausstrecken ein wichtiger Designaspekt. Röslers Taktik: „Ankommen geht über Geschwindigkeit. Wir kalkulieren mit drei Wochen bis Ketchikan. Die Platzierung ist egal – Hauptsache, das Ziel erreichen!“

Mit der Akkuratesse eines Finanzbuchhalters bereitet Rösler, der sich nicht als Abenteurer, sondern als Risikomanager sieht, Boot und Ausrüstung für das Unterfangen vor. Werkzeug aus rostfreiem Stahl, gefriergetrocknete Essensrationen, einzeln in Beuteln abgepackt und sorgsam beschriftet, dazu Konserven, Kaffee, Snacks und Spirituosen sind exakt nach Packliste verstaut. Für alle Fälle kommen auch Revierführer, Gezeitenatlas und Seekarten aus Papier an Bord. Der Wasservorrat muss hingegen nur für fünf Tage reichen. Die Flaschen lassen sich unterwegs problemlos aus Bächen oder Wasserfällen entlang der Strecke auffüllen.

Ein weiterer Vorteil der „Kairos 4Two“ ist ihr extrem geringer Tiefgang, der Zuflucht in seichte Buchten ermöglicht, die Kielbooten oder größeren Multihulls verwehrt bleiben. Schweres Ankergeschirr ist deshalb überflüssig, nur ein kleiner Danforth tritt die Reise mit an.

Wenige Tage vor dem Start wird „Kairos 4Two“ mit einem Experimentalruder bestückt: ein Geschenk eines 505er-Seglers. Es scheint dem Boot bei Leichtwind gut zu passen, als es unter Vollzeug und unbeladen flott auf Touren kommt. Beeindruckend die Höhe am Wind, die sich mit dem außermittigen und profilierten Steckschwert erzielen lässt. Rösler schätzt den Wendewinkel bei solchen Bedingungen auf etwa 90 Grad – eine deutliche Verbesserung gegenüber dem baumlosen Hobie-Rigg, das er früher verwendete. Ruhig und geschmeidig schneidet der Hauptrumpf das Wasser, ein Zeichen für effizientes Rumpfdesign. Später, als es aufbrist, begibt sich der Skipper aufs Achterdeck, um den Besanmast zu legen, das Segel abzustreifen und säuberlich aufgerollt im Cockpit zu verstauen. Sowohl Baumniederholer als auch Sicherungsleine für den Mast lassen sich bei dem Manöver flott mittels Karabiner lösen beziehungsweise befestigen. „Gerefft wird eher früher als spät“, erklärt der Skipper, der Segel wegnimmt, ehe die Verhältnisse kritisch werden.

Hübsch anzusehen ist „Kairos 4Two“ auf tiefem Raumschotkurs mit den Segeln in doppelter Schmetterlingsstellung. Wenn die Brise Pause macht, setzt sich Rösler auf den Gleitsitz, um den Hybridbetrieb mit Segel und Ruderkraft zu demonstrieren, während Sheehan Saldaña auf der Achterkajüte Platz nimmt.

Bei leichter Krängung werden die 2,44 Meter kurzen Amas, die Ausleger, die mit Spectraleinen an den Akas, den Beams, festgezurrt sind, zu Wavepiercern, an denen dank der strömungsgünstigen Decksform das Wasser sauber abfließt. Gesteuert wird „Kairos 4Two“ vom Cockpit aus, wobei die Kohlefaserpinne wahlweise in einer Klampe belegbar ist. Der Simrad-T10-Autopilot, der den Strom aus einer Lithium-Polymer-Batterie bezieht, die wiederum über einen Controller am Solarmodul hängt, kommt hauptsächlich beim Rudern zum Einsatz. Mobiltelefone mit Navionics-App und den entsprechenden Seekarten werden an Bord von portablen Mophie-Batterien mit Strom versorgt, die ihrerseits entweder von der Hauptbatterie oder per Wechselstrom an Land geladen werden. Rösler weiß von der Anfälligkeit der Apple-Lightning-Ladekabel, die kein Salzwasser vertragen und gut geschützt verstaut werden müssen.

Als Team „Fix oder Nix“ gehen Rösler und Sheehan Saldaña schließlich gut vorbereitet an den Start. Anders als manche Mitbewerber haben sie mit „Kairos 4Two“ ein zuvor erprobtes Boot, dem sie vertrauen können. Das verschafft ihnen Zeit und Muße, sich um Details zu kümmern, unter anderem solche, die zum Wohlbefinden und damit zur guten Laune an Bord beitragen. „Mein Maßstab für Erfolg? Dass wir uns nach dem Zieldurchgang weiterhin mögen“, scherzt Zoë Sheehan Saldaña im YACHT-Interview kurz vor dem Start. Und fügt hinzu: „Nicht sofort, aber nach ein paar Tagen.“

Risiken einschätzen, Wind und Wettervorhersagen aufmerksam studieren und auch die Verhältnisse und Veränderungen auf dem Wasser in ihre Routenplanung einbeziehen – das alles ist für die beiden dank ihrer Segelvergangenheit Routine. Zusätzlich tragen die Erfahrungen vom Paragliding, wo Verhaltens- oder Materialfehler ungleich drastischere Folgen haben können, dazu bei, grundsätzlich mit sehr viel Umsicht zu agieren. Und dennoch, der rund 40 Seemeilen lange Prolog nach Victoria in Kanada stellt auch sie vor eine enorme Herausforderung. Ein gewaltiger Ebbstrom trifft frontal auf steifen West und rührt nach dem Start in einem Gebiet, das in der lokalen Segelszene „Cabbage Patch“ („Krautacker“) heißt, gefährlich hohe und steile Brecher an. Für einige Teilnehmer liegen diese jenseits des Machbaren, was in diversen Kenterungen endet. Hubschrauber und Rettungsschwimmer müssen ran, um Schiffbrüchige aus dem 13 Grad kalten Wasser des Nordpazifiks zu fischen.

Das Team „Fix oder Nix“ und auch Colin Angus auf einem kleineren Row Cruiser halten sich zwar aus dem Schlimmsten raus, müssen aber einen ganzen Tag lang schwer kämpfen, ehe sie unbeschadet einen sicheren Hafen anlaufen, um bessere Bedingungen abzuwarten. „Zwei Stunden surften wir riesige Wellen ab mit einer gefühlten Geschwindigkeit von fünf Knoten und verloren dennoch an Boden, ehe wir uns befreien konnten“, fasst Rösler zusammen. Während er mit Blick nach achtern steuerte, um das Heck in den anrollenden Wellenkämmen zu halten, war Sheehan Saldaña mit Navigation und Lenzen beschäftigt. Die Passage nach Victoria nehmen die beiden schließlich zwei Tage später unter Ruderkraft in Angriff, bei Flaute und Schiebestrom.

Die schweren Bedingungen zu Beginn sind den Teilnehmern eine Warnung. Viele segeln in der Folge eher konservativ. Statt sich jeden Tag bis zur Erschöpfung zu verausgaben, lässt es auch Team „Fix oder Nix“ gemächlich angehen, um Kräfte zu sparen. Die Gewässer vor der kanadischen Westküste sind für manche Überraschung gut. Je nach Wetterlage findet man sich unversehens in einer komplexen, virulenten und völlig unberechenbaren Melange aus Böen, Winddüsen und Gezeitenströmen wieder.

Doch wenn es passt, muss man Gas geben, um wertvolle Meilen gutzumachen. „Es gab nur wenig Tage, an denen das ging“, erklärt Rösler hinterher. „Wenn du diese Gelegenheiten nicht nutzen kannst, fällst du schnell zurück.“ Am Ende ist zwar nur noch ein Boot hinter Team „Fix oder Nix“, das als 18. nach 21 Tagen, 7 Stunden und 25 Minuten in Ketchikan die obligate Zielglocke am Steg läutet. Das haben die Sieger um Profiskipper Jonathan McKee, die auf einer 44-Fuß-Carbon-Rennyacht gesegelt waren, bereits 17 Tage zuvor getan. Zufrieden ist Rösler dennoch: Sie sind innerhalb ihres Zeitrahmens geblieben und vor allem angekommen. Anders als 13 weitere Crews, die aufgeben mussten.

Ans Aufgeben haben Joachim Rösler und seine Mitstreiterin trotz einiger anstrengender Tage nie ernsthaft gedacht. Im Gegenteil, so Zoë Sheehan Saldaña: „Wir haben die Sache gemeinsam gut hinter uns gebracht. Und wir verstehen uns nach wie vor blendend.“

Das Race to Alaska, das 2015 zum ersten Mal stattfand, startete in diesem Jahr am 13. Juni wie immer mit dem Prolog von Port Townsend im US-Bundesstaat Washington ins 40 Seemeilen entfernte Victoria. Das ist der Hauptort von Vancouver Island ganz im Süden der Insel, die wiederum knapp 80 Seemeilen vor der westkanadischen Metropole Vancouver am Rand des Nordostpazifiks liegt. Um dorthin zu gelangen, mussten die Teilnehmer die berüchtigte Strait of Juan de Fuca überqueren, die die USA von Kanada an dieser Stelle trennt. Wegen eines Unwetters am Starttag hatten viele Crews ihre liebe Not, das erste Etappenziel zu erreichen. Die Pause bis zum Start der 710 Meilen langen zweiten Etappe nach Ketchikan im Südosten Alaskas war deshalb für jene Teams kürzer, die in Port Townsend bessere Bedingungen abgewartet hatten.

Das Ionische Meer ist windmäßig weniger fordernd als die Ägäis. Außerdem sind die Entfernungen zwischen den Inseln deutlich kürzer. Ein Törnvorschlag.

Von der Mütze bis zum Pizzaofen. Was Seglers Herz erwärmen könnte, von innen oder außen, haben wir im letzten Teil zusammengestellt

Die Imocas bereiten sich auf die 14. Auflage von The Ocean Race vor. Hier ist die dann unter französisch-deutscher Flagge mit den Co-Skippern Benjamin Dutreux und Robert Stanjek segelnde "Guyot Environment – Teeam Europe" im Vordergrund zu sehen.

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